Ausstellung Bashir Qonqar
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Bashir Qonqar ist ein palästinensischer Künstler. Aufgewachsen in Bait Jala (Bethlehem), lebt er seit gut zwei Jahren mit seiner Familie in Österreich. Siehe https://de-de.facebook.com/artistbashirqonqar/
In einem Interview mit der Kirchenzeitung der Diözese Linz betont er:
Ich will nicht, dass meine Kinder Hass lernen.
Das wäre für mich das Schlimmste.
Siehe https://www.kirchenzeitung.at/site/kirche/kircheooe/ich-will-nicht-dass-meine-kinder-hass-lernen
In dem Interview findet man weitere interessante Informationen über den israelisch-palästinensischen Konflikt und die Hintergründe der Umsiedlung der Familie nach Österreich.
Über den Künstler und sein Werk informieren außerdem die beiden Vorträge von Dr. Michael van Lay-Exeler, sie Sie weiter unten finden.
Wegen der Corona-Pandemie musste die Ausstellung in zwei Teilen durchgeführt werden:
Die Vernissage fand am 2. Oktober 2020 statt. Nach der ursprünglichen Planung sollte die Ausstellung bis zum 28. November dauern, musste aber bereits Anfang November wieder geschlossen werden.
Am 17. April 2021 wurde sie wieder eröffnet - ebenfalls wegen Corona aber nur als Livestream. Auch die Veranstaltungen an den folgenden drei Wochenenden - die Finissage fand am 8. Mai statt - konnten nur im Netz übertragen werden.
Veranstaltungsort war das brüneo, Marie-Curie-Str. 3, 50321 Brühl-Ost; siehe https://www.brueneo.de/de
Dem Leiter, Herrn Michael Volkmann, danken wir sehr dafür, dass er uns die Räumlichkeiten unentgeltlich zur Verfügung stellte. Ebenso danken wir seinem Team für freundliche Unterstützuung in allen technischen Belangen.
D i e V e r n i s s a g e
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Im Rahmen der vielen Kunst- und Kultur-Veranstaltungen, mit denen der Arbeitskreis Palästina Brühl-Battir schon zahlreiche Besucher auf sich hat aufmerksam machen können, ist die Ausstellung des palästinensischen Künstlers Bashir Qonqar eine ganz besondere und herausragende.
Sie zeigt ca. 60 Bilder, an denen sich die Entwicklung der Kunst Qonqars deutlich nachvollziehen lässt. Und sie spiegeln seine vielfältigen Erlebnisse und Erfahrungen wider, die den Autodidakten zu dem Künstler gemacht haben, der er heute ist. Mit seinen Werken verbindet er eine Botschaft. Sein Motto: „Ich träume davon, mit meiner Kunst die Menschen zu erreichen.“ Was damit gemeint ist, erläutert der Einführungsvortrag von Dr. Michael van Lay-Exeler (siehe unten).
Almut Zimmermann, die Sprecherin des Arbeitskreises, und Robert Sass, Stellvertretender Bürgermeister von Brühl, begrüßten die Gäste.
In seiner Einführungsrede brachte Dr. Michael van Lay-Exeler den Künstler und seine Kunst den Besuchern näher:
"Kleinstigkeiten" - weit mehr als Dekoration.
Hier lohnt es sich besonders, die Bilder mal anzuklicken!
Untermalt wurde die Eröffnung durch die Musikgruppe „1001 Melodie“ und durch ausgesuchte Lyrik von Khaled Shomali.
Für das leibliche Wohl sorgte die Ortsgemeinschaft Brühl-Ost
mit einem schmackhaften Büffet.
Dafür bedanken wir uns ganz herzlich!
Ein herzliches Dankeschön gilt dieser Stelle aber auch der Firma Brüneo und ihrem Geschäftsführer Michael Volkmann (auf dem Bild unten links; zusammen mit dem Künstler).
Herr Volkmann stellte dem Arbeitskreis ohne zu zögern seine Räumlichkeiten zur Verfügung. So kam eine außergewöhnliche Ausstellung in einem architektonisch besonders gestalteten Gebäude zustande. Beides ist wie für einander geschaffen: Der besondere Baustil des Bürogebäudes und die palästinensisch-österreichische Kunst bilden eine wunderbare Symbiose.
Wegen Corona haben hier natürlich
alle die Luft angehalten ;-)
Zu den Öffnungszeiten an den folgenden Wochenenden kamen viele interessierte Besucher.
Die Bilder können durch Anklicken vergrößert werden.
In der folgenden Übersicht sehen die Bilder in etwa gleich groß aus. In Wirklichkeit variiert die Größe jedoch beträchtlich. Darüber informiert die Liste weiter unten.
1. The Jungle Nr.1
3. A kinky Scene with a Camel
5. A Dead Mouse
2. The Jungle Evolution Nr.2
4. Rats – Demonstration
6. The Wood Abstraction
7. A Pile of Birds
9. Digital Work –
Pig in the House
8. Original – Pig in the House
10. Digital Work – Fusion
Fusion – the blurred memory and the woods
Our memories are fragile gifts hidden away – the further we move away from them the more blurred they become.
A new body of work encompassing paintings and a video piece inspired by memories of another time and the pulsating imprint of these memories upon water surfaces and the woods.
These works are an invention to embark on a journey permeating in pulsating energy – quiet and raging, controlled and unbound, deliberate and instinctive. An energy that dances to ideas of remembering and forgetfulness, to the openness and to the restrictive grounds of being. Unlocked in Blurred Memories is the desire to return to a time where we are greeted with the harmony of surrounding; where even in blurred visions, we still recognize our fingers touching the last that has gone before and the first of what is still to come.
Bashir Qonqar Brühl / Germany 2020 |
11.Digital Work – Making Love
13. Digital Work – Woman and
revolution
12. Digital Work – Fear
14. Digital Work - Tehran 15. Digitak Work - Bethlehem
Life full of Patterns – Patterns full of life ist ein Versuch, verschiedene gesellschaftliche Handlungsweisen, Strukturen, Glaubenssätze und Paradigmen in Frage zu stellen und sich damit auseinander zu setzen. Wie entsteht ein Muster oder ein Denkmuster, und was muss passieren, damit wir tiefer in unsere Denkweisen reinschauen und versuchen, bestimmte Verhaltens- und Denkweisen zu brechen oder umzuändern.
Das Projekt hat vor 6 Jahren in Bethlehem / Palästina angefangen. Am Anfang war es nur ein Zeitvertreib während dem Telefonieren, unbewusstes Skizzieren, einfache Striche, ohne darüber nachzudenken, was man da macht. Diese Skizzen waren interessant! Ich habe angefangen, damit zu spielen/zu experimentieren. Kann man aus einem "Nebenprodukt", zufällig entstanden, etwas Bedeutungsvolles kreieren? Und so entstanden die Muster (Arabesken).
Danach habe ich mit Fotos den umgekehrten Weg genommen, ein Foto, auf dem man etwas sieht, das nicht schön ist/einem nicht gefällt, zu einem schönen Muster zu machen. Wie so vieles im Leben: auf den ersten Blick wunderschön, aber wenn man genauer hinsieht/in die Tiefe geht, bröckelt diese Fassade, und die unschöne Realität kommt zum Vorschein. Wir handeln nach Mustern, Glaubenssätzen, bewusst und unbewusst, und viele Handlungen sehen an der Oberfläche schön aus; wenn man allerdings tiefer geht, hinterfragt, kommt oftmals ein unschönes Bild ans Licht. Aufgrund von Erfahrung, gesellschaftlichen Normen, Ideologien, Religion urteilen wir, ordnen wir ein, werten wir: gut-schlecht, schön-hässlich, richtig-falsch, dabei sind wir oft blitzschnell und hinterfragen danach nicht, ob dieses Urteil stimmt bzw. immer noch stimmt, oder wir wachsen schon mit bestimmten Ideen auf, die niemals hinterfragt werden.
Bashir Qonqar Bad Goisern / Österreich 2020 |
16. The Wall
18. The Dead Cow
20. Self portrait #1
22. Father
24. Chaos
26. My Donkey
28. Rolling Pigs
30. A Fragile City #1
32. The Holy Chicken
34. Escaping the Shit
36. The Woods
38.Transition#2
40. The Traun – Green
42. The Traun
44. Buildings
46. Wald#2
49. Building #1
51. Building #2
17. Al Makhrour
Das Tal liegt zwischen
Battir, der Partner-gemeinde von Brühl, und Beit Jala, der Partner-gemeinde von Bergisch Gladbach.
19. My home
21. The Church
23. Self portrait #2
25. Olive Tree
27. A Rolling Tank
29. The Cow and the Donkey
31. A Fragile City #2
33. High Walls
35. My Garden
37. Transition #1
39. The Lake
41. The Traun – Blue
43. Hallstätter See
45. Wald#1
47. Wald#3
50. Wald#4
52. The Free Fall –
The first Edition
The Free Fall
A Space impossible to be explained. In the Free Fall, the place is liberated from its geographical properties, becoming a transparent reflection of our essence. The place is a mirror, there is no escape from oneself. The Free Fall is also an attempt to illustrate the absurd, and to present the schizophrenia of the place and the society’s morals.
The Free Fall is a colorful provocation; it aims to preserve the beauty and delight of the colors and to show a contrast to the content of the paintings.
The Free Fall is a brutal acknowledgement of the ghostliness of the reality, it awakes our awareness to the place which is drowning in nostalgia. It is also an optical suggestion, referring to a city that chases after, and swallows man, or rejects him and sends him into internal exile.
Bashir Qonqar Bergisch Gladbach / Germany 2018 |
53. The Suicide Duck
55. Strangled fish
57. Bethlehem
59. A Pile of people
54. Transition of a Lollipop
56. Strangled
58. Self-Portrait
60. Eaten by the City
Z u s a t z p r o g r a m m
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Von dem umfangreichen Zusatzprogramm, das der Arbeitskreis entworfen hatte, konnte vor der erzwungenen Pause wegen Corona zumindest noch eine Veranstaltung durchgeführt werden. Sie hatte ein ganz besonderes Flair.
Maria Ioannidou, Gitarre und Gesang
Das erste Zusatzprogramm zu der Ausstellung von Bashir Qonqar bestritt die junge griechische Musikerin Maria Ioannidou. Etwa eine Stunde lang begeisterte sie am 17. Oktober die Gäste im brüneo mit einem breiten Repertoire an Songs in deutscher, griechischer und englischer Sprache.
Den Anfang machte sie mit dem Lied „Ein Geschenk“ des berlin-brandenburgischen Trios Ewig, dessen Refrain mit dem Vers beginnt: „Dieses Lied ist für eine Seele von Mensch“. Damit war der Ton gesetzt für eine stimmungsvolle „poetische Klangreise“, wie Kathrin Höhne im Kölner Stadt-Anzeiger zwei Tage später treffend formulierte.
Die meisten Lieder waren leicht melancholisch – passend zu der Ausstellung eines Künstlers aus einem Land, in dem die Menschen unter äußerst schwierigen Bedingungen leben. Auch in den griechischen Liedern ging es „um Sehnsucht und Lebenskraft, Niederfallen und Wiederaufstehen“ (K.Höhne) – ebenfalls Aspekte, die zur Ausstellung und ihrem Künstler passen.
Das Publikum bedankte sich mit herzlichem und langanhaltendem Applaus.
Fortsetzung der Ausstellung
17.04. - 08.05.2021
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Wiedereröffnung der Ausstellung mit Werken des palästinensischen Künstlers
am 17. April 2021 um 15.00 Uhr per Livestream
www.twitch.tv/bruehl_palestine_tv
Begrüßung durch Almut Zimmermann
Alle Fotos, auch die von den Kunstwerken: © Klaus Bochem
Nach einem Grußwort des Bürgermeisters Dieter Freytag eröffnete Dr. Michael van
Lay-Exeler in einem sehr einfühlsamen Vortrag weitere Zugänge zum Werk Bashir
Qonqars. Khaled Shomali trug eigene Gedichte auf Arabisch vor; die deutsche Übersetzung las Hildegard Meier.
Zwischen diesen Programmpunkten konnten wir Klaviermusik von und mit dem palästinensischen Pianisten Dia Rishmawi lauschen, die per Video durekt aus Palästina übertragen wurde.
In einem Video-Rundgang wurden anschließend alle Bilder der Ausstellung präsentiert; sie sind auch weiter unten abgebildet.
Die ganze Veranstaltung konnte wegen Corona nur als Livestream präsentiert werden. Die Aufzeichnung wurde anschließend eine Woche lang im Netz gezeigt. Dasselbe gilt für die zwei darauffolgenden Wochenenden, an denen unser Partnerort Battir sowie der Arbeitskreis selbst vorgestellt wurden. Am 8. Mai fand die Finissage statt, ebenfalls als Livestream.
Weitere Informationen zu diesen Wochenend-Veranstaltungen siehe unten.
Mit Bildern schwanger gehen ... Beim Betrachten von Bashir Qonqars Bildern
Dr. Michael van Lay-Exeler
Die ärmlichen Worte einer rein sprachlichen Einführung in eine Kunstausstellung können das viel wichtigere Sehen und Betrachten nicht ersetzen. Sie wollen gleichwohl neugierig machen und dazu auffordern: Schauen Sie selbst und lassen Sie die Dinge zu Ihnen sprechen oder in Ihnen wirken! Das ist viel wichtiger als die folgenden Worte.
Bei unserer ersten Vernissage am 2. Oktober vergangenen Jahres durfte ich von meinen ersten Lernerfahrungen mit dem berichten, was „Konzeptkunst“ oder auch „Prozesskunst“ heißt. Bashir Qonqar versteht sich ja als Konzeptkünstler. Die Idee oder Motivation, die einen Künstler beseelt, wird hier nicht in einem rundum vollendeten Kunstwerk, gar noch mit Programmanspruch, ausgedrückt; „was das Ganze soll“, deutet sich vielmehr eher an: Der Künstler lässt sich von Intuitionen leiten, und die betrachtende Person wird angestoßen, ihre eigenen Erfahrungen mit dem Kunstwerk zu entdecken. Kopfkratzen und auch Irritation gehören dazu.
Ganz in diesem Sinne bin ich in den vergangenen Monaten mit Bashir Qonqars Bildern schwanger gegangen; das wurde wieder intensiver, als meine Kolleginnen und Kollegen im Arbeitskreis Palästina mich baten, doch noch einmal etwas zur Ausstellung zu sagen. Da habe ich gemerkt: Die Bilder haben in mir gearbeitet. Nicht alle gleichermaßen – manche stärker, manche weniger stark, die rätselhaften vielleicht auf unbewusste Weise. Schauen wir doch einmal auf das Bild Nr. 3 in der Liste, die auf unserer Homepage einzusehen sein wird. „A Kinky Scene with a Camel“ (deutsch etwa: „Eine verquere Szene mit einem Kamel“). Kann unser Kameramann Klaus vielleicht mal kurz herüber schwenken!? Was zum Teufel soll beispielsweise das samtäugige Kamel mit dem nackten, verdrehten, geflügelten Künstler, der barbusigen Frau mit der Partytröte auf dem Kopf und dem Baum voller rot leuchtender Früchte bedeuten? ….. Ich gestehe: Es arbeitet noch in mir.
Bei dem, was ich zu Bashir Qonqars Werken sagen kann, schöpfe ich aus zwei mir einigermaßen bewussten Quellen:
Da ist erstens die Wirkung der Bilder und weiteren Objekte in mir, beim ersten oder auch wiederholten „oberflächlichen“ Anschauen und Er-Innern. Hier ergeben sich Ideen, welchen übergreifenden Themen sich die einzelnen Ausstellungsstücke zuordnen lassen könnten. Zweitens habe ich gemerkt, durch welche Brille ich die Ausstellung, je länger und je öfter, desto intensiver und klarer anschaue; das ist die zweite Quelle meines Sehens. Es sind meine eigenen, persönlichen Erinnerungen an ein mehrjähriges Leben in Palästina zwischen 2009 und 2015 – unter im wahrsten Sinne „herrschenden“ Bedingungen der israelischen Kontrolle des gesamten Lebens dort. Beides zusammen, die Wirkung der Bilder und die Eindrücke des Lebens in Palästina, hat mich zu einem Verständnis von Bashir Qonqars Kunst gebracht, das ich im Folgenden vorstellen möchte.
Um Überblick und Ordnung zu finden, zeichne ich zunächst die Anordnung der Bilder nach, wie Bashir selbst sie festgelegt hat. Er beginnt gleich mit der Irritation als Prinzip – so erlebe ich das: Die großflächigen Bilder hier im Foyer springen einen fast mehr an, als dass sie einen ansprächen. Die erregten, lauten, frechen Dschungel-Bilder, das bereits erwähnte Kamel usw., der Haufen Ratten oder Mäuse – Bild einer Demonstration? Eine hat es das Leben gekostet –, die Abstraktion eines Waldes, eine wilde Zusammenballung von allerlei aufgeregten Vögeln, einige davon eindeutig Raubvögel. Die Erwartungen des gutbürgerlichen Kulturgenießers sind erst einmal frustriert; man ist mindestens provoziert und fragt sich vielleicht insgeheim: Was soll das nur werden?
Dann wird im Flur – hier glaubt man, schon mehr zu verstehen – der Lebensweg des Künstlers nachgezeichnet. Da wechseln sich idyllische Bilder mit verstörenden Ansichten ab: einerseits Ansichten aus dem Tal von Makhrour zwischen Beit Jala und Battir, das elterliche Heim, die heimatliche Kirche; andererseits der Kadaver eines Pferdes, ein gequälter Esel („My Donkey“! Sieht sich Bashir selbst als Esel?), Tiere, die sich wild übereinander auftürmen. Dazwischen ausgesprochen biographische Stücke wie Selbstporträts, daneben das Porträt des ermordeten Vaters – ernst bis düster. Als Rahmen des vorwiegend palästinensischen Teils des Lebensweges Szenen der politischen Alltagslage: die Sperr- und Trennmauer rund um Bethlehem, Beit Jala und Beit Sahour, der Stadtkomplex, in dem Bashir aufgewachsen ist, und der allmorgendliche Auftrieb der palästinensischen Arbeiter durch die Mauern und Gitter des Checkpoints 300 (ab 3 Uhr früh); und: das ganze wimmelnde Leben auf einem Panzer! Schließlich die handgeschriebenen Kommentare von Bashir, die erklären, dass ihn diese Situation zu dem veranlasst hat, was man letztlich nur als Flucht bezeichnen kann – und das entsprechende Bild (Bild 34: Escaping the shit, deutsch etwa: „Raus aus der Scheiße!“).
Mit der Miniatur „My Garden“ (Bild Nr. 35) deutet sich in der Ausstellung wie im Leben und Wirken des Künstlers der vermeintliche Aufstieg ins Idyll des Salzkammerguts an. Doch bevor man aus dem Tunnel namens Palästina die Treppenstufen ins (ich wiederhole: vermeintliche) Idyll erklimmt, noch ein Blick auf drei Studien zu dem bereits erwähnten Stadtkomplex, der Bashirs palästinensische Heimat ausmacht: Alle drei Städte – noch einmal: Bethlehem/Beit Jala/Beit Sahour – stehen, sorgfältig betrachtet, auf zerbrechlichen Stelzen, und eine dieser Perlen des palästinensischen Weltkulturerbes existiert wie ein neues Pompeji neben einem wahrhaftigen Vulkan aus der Kinderphantasie des Künstlers (Bild 32: Holy Chicken, deutsch: „Heilige Hühner“).
Beim Hinaufsteigen ins Obergeschoss der Ausstellung atmet es sich zunächst sichtlich freier: drei geradezu riesige Bilder des Übergangs in die erlebte Freiheit und unbelastete Schönheit der oberösterreichischen Natur- und Kulturlandschaft – in den Wald! Daran anschließend nur scheinbar (!) rein ästhetische Zelebrationen des Flusses Traun, des Hallstätter Sees – und immer wieder des Waldes. Doch das Idyll ist eher ein Sanatorium für die im übertragenen Sinne Herzkranken der Situation Palästinas: Die Haufen verzerrter Häuser kann man als Chiffre der Hauszerstörungen und der Bombardierungen städtischer Wohngebiete lesen, die zu beinahe 100% die palästinensische Bevölkerung getroffen haben und immer wieder treffen. Und dann zum Ende hin die Bilder, vor denen man, wenn man gerade nicht reden muss, am besten verstummt: das Bild vom „Freien Fall“ des seiner Identität beraubten Menschen (Bild Nr. 52); vom Menschen, der keine Luft zum Atmen hat und an das abendländische Motiv der Mater Dolorosa denken lässt (Bild Nr. 55 „Strangled Fish“, deutsch etwa „Erstickter Fisch“); Bethlehem mit der deutlich verletzten („Friedens-“) Taube; Haufen von Menschen, die einander gar nicht gut zu tun scheinen. Am Ende steht man vor dem sehr großen Selbstportrait des Künstler (Bild Nr. 58), dem die Esel und Hühner und Mäuse aus dem Kopf quellen und der einen mit großen Augen anschaut: Versteht Ihr mich?!
Bevor man wieder ins Foyer hinabsteigt, fesselt ein bonbonfarbenes Doppelbild, das ich als eine bittere, verschlüsselte Karikatur der Situation im Nahen Osten lese: ein Kommentar zur Instrumentalisierung des Terrors (der auf beiden Seiten, entsprechend den völlig asymmetrischen Machtverhältnissen, so sehr unterschiedlich ausfällt) und zur Manipulation durch die Politik und die sie steuernden Kräfte (Bilder Nr. 53 und 54: „The Suicide Duck“/“Die Selbstmord-Ente“, und „Transition of a Lollipop“, „Die Wandlung eines Dauerlutschers“). ….. Ein Lump, der Schlechtes dabei denkt!?
Eine Gruppe von Objekten habe ich bislang ausgelassen, die im Konferenzraum, neben dem Flur im Erdgeschoss. Technisch unterscheiden sie sich für mich als Laien dadurch, dass sie in digitaler Drucktechnik ausgeführt sind. Sie gehören zu dem Rätselhaftesten, was ich in dieser Ausstellung finde, verlangen mithin noch mehr innere Aneignungsarbeit. (Es arbeitet bereits in mir, aber das auszuführen, würde zu lange dauern.)
Von der Schwerverständlichkeit gibt es hier zwei Ausnahmen: Erstens die großflächigen, tapetenartigen Muster „Tehran“ und „Bethlehem“ (Bilder Nr. 14 und 15); sie stellen sich bei ganz naher Betrachtung als Entlarvung der Struktur der Gewalt dar, die einen Teil der Kultur des Nahen und Mittleren Ostens prägt – Gewalt der iranischen Revolution und Gewalt des palästinensischen Widerstandes, beide Male von Frauen ausgeübt. (Der Effekt der Annäherung an die Grundstruktur dieser Drucke ist auf der Homepage des Arbeitskreises sehr gut nachzuvollziehen.) Interessanterweise steuert Bashir Qonqar an dieser einzigen Stelle seiner Ausstellung eine theoretische Erläuterung bei, die jeder studieren kann.
Nicht unerwähnt bleiben dürfen, zweitens, die „nur schönen“ experimentellen Spielereien mit Video-Kunst, die hier und sinnigerweise beim Treppenaufgang ins Idyll angeboten werden: Die schreibenden und malenden Hände des Künstlers – samt brennender Zigarette! - vervierfacht in ein sie verfremdendes, sich lebendig entfaltendes Muster gebracht. Und die Video- Projektion eines Gangs durch den Wald, einschließlich plätscherndem Wasser und Vogelstimmen – wenn ich mich richtig erinnere ….
Ich fasse zusammen – folgende Themen und Motive der Kunst Bashir Qonqars möchte ich Betrachtern anbieten und sie mit Bildern verknüpfen:
1. Gesellschafts- und Kulturkritik, Entlarvung politischer Herrschaft und Gewalt: Bilder Nr. 1, 2, 4/5, 7, 13, 14, 15, 16, 27, 30, 31, 32, 33, 49, 51, 53-57, 59, 60 2. Die Einflüsse und prägenden Ereignisse auf dem Lebensweg des Künstlers: Bilder Nr. 16-35 3. Die Suche nach der eigenen Identität als Grundtenor: Bilder Nr. 18, 24, 26, 29, 34, 58 4. Belagerte bis beschädigte und verletzte Identität als Grundgegebenheit: Bilder Nr. 20, 22, 23, 26 zusammen mit 29, 52, 55, 56 5. Naturidyll <=> kontrastiert mit harter Realität: Bilder Nr. 6, 17,19, 21, 25, 35, 38-44, 45-47, 50 <=> 49, 51, 52 (Dieses Bild schloss ursprünglich die Waldbilder ab!)
Fragen wir uns abschließend: Was bewegt einen Künstler, sein Land zu verlassen und eine neue Heimat zu finden? Und was treibt ihn Tag für Tag, durch alle Krisen hindurch, immer wieder aufs Neue in sein Werk?
Für den, der die Geschichte Palästinas kennt, auf die Lebensspanne des Künstlers (*1980 bis heute) schaut und dann seine Kunstwerke auf sich wirken lässt, liegt es geradezu auf der Hand:
Bashirs Lebens- und Familiengeschichte ist wie die sehr vieler Palästinenser eine Gewaltgeschichte. Zwischen 1980 und heute liegen zwei niedergeschlagene Volksaufstände, fünf Kriege und eine ununterbrochene, meistens knallharte militärische Besatzung. Sein Vater wurde 1988 gezielt erschossen, als er der von der Militärverwaltung verfügten Schließung von Schulen zuwiderhandelte.
Seitdem er fühlen und denken kann, ist er jahrzehntelang durch Verbote, Sperren, „Mauer und Stacheldraht“, Kontrollen und mal äußerst restriktiv gewährte, mal vorenthaltene Genehmigungen in seiner Bewegungsfreiheit behindert gewesen. Er hat wie alle die rücksichtslose Manipulation des Alltagslebens durch die Machthabenden erlitten.
Er hat wie alle die tägliche Atmosphäre der erniedrigenden Verachtung durch die Machthabenden „genossen“. (Mir kommt immer wieder in den Kopf, was meine Kollegin von einem Erlebnis ihrer Mutter, wohnhaft in Bethlehem, erzählt hat: Die israelische Grenzpolizei kontrolliert beim Checkpoint 300 einen Bus alter, christlicher, arabischer Frauen, denen eine seltene Pilgerfahrt zu ihren heiligen Stätten in Jerusalem gewährt wird. Sie kontrollieren das Businnere mit einem Schäferhund und lassen ihn mitten im Gang kacken. So etwas spricht sich herum – und wirkt, auch auf unseren Künstler!)
Auf die Dauer bekommst du das Gefühl, dass dir dein Recht, ein eigener Mensch zu sein, vorenthalten wird. Wenn dann noch deiner frisch angetrauten europäischen Ehefrau von Visumantrag zu Visumantrag für stets dieselbe teure Gebühr erst ein Jahr, dann sechs Monate, schließlich drei Monate Aufenthalt gewährt werden, erlebst du den bürokratischen Druck oder besser: die bürokratische Gewalt, dich doch bitteschön davonzumachen, und räumst um eines gesünderen, besseren Lebens willen für dich und deine Familie deinen Platz in deiner Heimat.
Und was suchst du in deiner neuen Heimat?
- das Recht auf ein persönliches, privates Glück in der geordneten, geschützten Umgebung deiner Familie; - das Recht auf Arbeit zum wirtschaftlichen Selbstunterhalt und zum Unterhalt deiner Familie; - das Recht auf deine unschuldige Freude an der reinen Schönheit der Natur; - das Recht auf die freie Entfaltung deiner künstlerischen Persönlichkeit; - das Recht, dein eigener Mensch zu sein.
All das natürlich gerne zu Hause, in der ersten Heimat – doch wenn einem das verdorben, unerträglich und letztlich sogar unbezahlbar gemacht wird, gerne auch in der zweiten Heimat.
Willkommen, Bashir Qonqar!!! Gut, dass es Dich gibt! Deine Anwesenheit hier ist der klarste, eindeutigste Widerstand gegen die „herrschenden“ Lebensbedingungen in Deiner ersten Heimat!
Danke, dass wir durch Deine Kunst teilhaben dürfen daran, wie ein Mensch auf von Menschen gemachte ungerechte Gewalt reagieren und sich dabei treu bleiben kann! „Ich will nicht, dass meine Kinder Hass lernen“, sagst Du. Das sagt alles. Und Du willst mit Deiner Kunst die Menschen erreichen? Mich hast Du erreicht.
Brühl, den 17. April 2021 |
Am 24. April hatten wir ein weiteres musikalisches Highlight im Rahmen unserer Ausstellung:
Nina Anders (Klavier und Gesang) und
Michael Lux (Gesang)
trugen selbstgetextete und selbstkomponierte Songs vor, zum Teil auf Kölsch.
Almut Zimmermann stellte außerdem unsere palästinensische Partnergemeinde Battir vor und informierte über eine Reise des Arbeitskreises nach Palästina und Israel, die für den Herbst dieses Jahres geplant ist - natürlich zur Zeit noch unter Corona-Verbehalt.
Weitere Informationen:
Ein kleiner Einblick in die Technik,
während Heinz Gierlich am 2.5.2021
den Arbeitskreis vorstellt.
Musikalische Gestaltung am 2.5. durch die beiden palästinensischen Musiker
Dia Rashwami (Klavier) und
Naseem Alatrash (Cello)
Technische Realisation
während der gesamten "zweiten Halbzeit" der Ausstellung:
Klaus Bochem, Aufnahmen
Michael Kümpel, Aufzeichnung und Erstellung des Livestreams
Informationen über den Arbeitskreis finden Sie auch hier.
D i e F i n i s s a g e
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Die Finissage am 8. Mai 2021 bot noch einmal ein interessantes Programm mit einer bunten Mischung aus Musik und Texten beider Kulturen, der deutschen wie der palästinensisch-arabischen:
Siehe https://www.youtube.com/watch?v=579KfprLyLo&list=RD579KfprLyLo&start_radio=1
Hakam Abdel-Hadi:
Der hungrige Suleiman:
Vom Lachen und Weinen in Palästina
Biografische
Erzählungen
Khaled Shomali liest die arabische Übersetzung
der Gedichte von Almut Zimmermann
Zuletzt präsentierte Almut Zimmermann eine beeindruckende Statistik:
Wegen Cornona konnte der gesamte zweite Teil der Ausstellung Bashir Qonqwar nur per Livestream angeboten werden. Zu unserer eigenen Überraschung stellten wir fest, dass wir insgesamt mehrere hundert Zuschauerinnen und Zuschauer hatten, und zwar von Irland bis Saudi Arabien.
Für Planung und Organisation des ganzen Unternehmens, das auf vier Wochenenden verteilt war, war Almut Zimmermann verantwortlich, kräftig unterstützt vor allem von Khaled Shomali;
für die technische Realisation Klaus Bochem (Aufnahmen) und Michael Kümpel (Aufzeichnung und Aufbereitung für den Livestream).
© Gemeinde Battir